Beispiel: Trennung / Verlust

Eine wachsame hellhörige Mutter

Ingrid hat zwei Kinder, die Tochter Lilli ist 4 und Sohn Dominik 7 Jahre alt. Ingrid verlor ihren Mann vor drei Jahren durch einen Unfall. Sie kommt zur Beratung, weil sie Sorgen um ihren Sohn Dominik hat. Er hatte in den letzten sechs Monaten bereits den dritten Unfall. Es waren keine schweren Unfälle und zum Glück gab es nur kleine Verletzungen. Aus diesem Grund war Ingrid vorerst geneigt, nicht zu viel darüber nachzudenken, Sie tat die Vorfälle mit den Gedanken ab, dass ihr Sohn sehr lebhaft ist. Ingrid hat aber schon einiges über Familienaufstellungen gelesen und wurde wachsam. Sie stellte mir die Frage: "Glauben Sie, dass sich mein Kind unbewusst mit diesen Unfällen gefährdet?" Ich frage nach, wie sich das Kind verhält. Sie erzählt, dass ihr Sohn schon öfter morgens beim Aufstehen sagte, dass das Leben nicht schön ist und er lieber zum Papa möchte.

Nach einigen Forschungen in Ingrids Familie, bemerkte sie erstaunt, dass auch ihre Großmutter, die Mutter ihrer Mutter, den Großvater durch einen Arbeitsunfall im fast gleichen Alter wie sie es war verloren hat. Es ist anzunehmen, dass Ingrid mit dem Schicksal ihrer Großmutter verstrickt ist.

Die Aufstellung wird verdeckt durchgeführt. Es werden der verstorbene Mann, Ingrid, die beiden Kinder, die Großmutter und der verstorbenen Großvater aufgestellt. Niemand weiß, welche Person er vertritt. Auch für die Klientin selbst nehme ich am Beginn eine Stellvertreterin. Die Stellvertreter werden in diesem Fall alle von Frauen vertreten - sie werden im Kreis aufgestellt. Ich berühre sie und denke ohne zu sprechen an die Person, die sie vertreten sollen.

Die Personen bekommen kleine Namenskärtchen in die Tasche, um nachher sicher feststellen zu können, wen sie vertreten.

Die verdeckte Aufstellung ist meist verblüffend klar, niemand kann seinen Verstand und seine persönlichen Gedanken einbinden. Die Personen erhalten nur den Auftrag, sich nach ihrem Gefühl zu bewegen.

Die Aufstellung zeigt folgendes: Sofort ist zu sehen, dass drei Personen nur auf den Boden schauen, eine Person hat die Augen geschlossen. Nach etwa 5 Minuten setzt sich eine der drei Personen nieder und legt dann die Stirn auf den Boden auf. Eine Person geht etwas weiter zurück und eine Person bleibt stehen.
Die anderen zwei Personen, die noch zu Boden schauen, sind die Stellvertreterinnen von Ingrid und der Großmutter. Die Stellvertreterin des Sohnes Dominik hat sich auf den Boden gesetzt, die Stellvertreterin des Vaters und des Großvaters befinden sich ebenfalls in einer Schicksalsgemeinschaft, sie zogen sich weit zurück, die Stellvertreterin der Tochter Lilli ist stehen geblieben.

Auf den Boden schauen ist durch die Erfahrungen des Familienstellens ein Zeichen, dass jemand zu einem Verstorbenen schaut und eine Trauer trägt. Der Sohn, der sich auf den Boden gesetzt hat und die Stirn auf den Boden legt, übernimmt die Trauer der Mutter. Ingrid trägt nicht nur ihre eigene Trauer, sie ist auch mit dem Schicksal der Großmutter verstrickt.

Ich öffne nun die Aufstellung und lege den verstorbenen Mann der Großmutter auf den Boden. Ich hole den verstorbenen Mann von Ingrid, auch er möchte sich dazu legen. Der Sohn kniet noch immer am Boden. Nun setzt sich auch die Großmutter dazu, sie nimmt die Hand ihres Enkels.

Nun nehme ich Ingrid selbst in die Aufstellung, sie fühlt sich von der Großmutter angezogen, auf meine Intervention sagt sie zur Großmutter: "Ich sehe deine Trauer, Oma und ich teile dein Schicksal. Du hast um Opa getrauert und deine Trauer konnte nie enden. Auch ich trauere um meinen Mann - so wie du. Bitte schau in Liebe zu mir, wenn ich mich nun von meinem Mann in Liebe verabschiede und wieder glücklich am Leben teilnehme. Bitte segne mich und meine Kinder."

Dann schaut Ingrid zu ihrem verstorbenen Mann, es kam ein tiefer Schmerz hervor und der Vorwurf: "Warum hast Du mich alleine gelassen! Alles was wir uns versprochen haben, ist zerstört, wir hatten noch soviel vor ..." Dann begann die Trauerarbeit um Ihren Mann. Ich lasse Ingrid viel Zeit, sie braucht zwei Stunden, um von ihm gehen zu können.

Vorwurf und Wut schützte Ingrid vor der Trauer!
Erst als Ingrid alle Emotionen ausgesprochen hatte, die Wut, den Schmerz, die Trauer, die Gefühle der Einsamkeit und Angst konnte die Liebe wieder fließen. Sie konnte ihrem Mann sagen: "Es ist schwer ohne dich, aber unsere Liebe stärkt mich, ich bewahre sie in meinem Herzen. Jetzt lasse ich dir deinen Frieden." Dann konnte Ingrid ihrem Mann auch danken für das, was sie einander gegeben haben. Sie wird ruhig und sie kann wieder in Liebe zu ihrem verstorbenen Mann schauen.

Sie sagt ihrem Mann: "Ich konnte dich nicht loslassen. Jetzt kann ich gehen und wenn meine Zeit da ist, komme ich auch. Bitte schau freundlich zu mir, wenn ich mich nun wieder über mein Leben freue." Die Stellvertreter der Kinder schauen währenddessen zu. Ihr Sohn ist zwischenzeitlich aus eigener Kraft aufgestanden und hat sich zu seiner Schwester Lilli gestellt.

Wut und Vorwurf schützen vor Trauer. Viele Menschen verhalten sich so, als ob der Verstorbene sie im Stich gelassen hätte. Denn in der Seele macht es keinen Unterschied, ob der Partner gestorben ist oder ob er den anderen verlassen hat, man fühlt sich alleine gelassen.

Trauer, die nicht enden kann, gefährdet das Leben der Lebenden
Nach ca. 6 Wochen kam Ingrid, sie wollte mir erzählen wie es ihr seit der Aufstellung geht. Ingrid wirkte sehr glücklich, sie meinte, dass sich große Veränderungen zeigen. Sie selbst fühlt sich frei und voll Kraft. Sie hat sich ausgesöhnt mit dem Schicksal, mit dem Tod ihres Mannes. Sie kann jetzt ohne Schmerz auf den Friedhof gehen. Die Kinder spüren ihre Veränderung und Dominik ist ausgeglichen, er schläft gut und ist sehr lustig.

Nach 9 Monaten habe ich erfahren, dass Ingrid wieder in einer glücklichen Partnerschaft ist und sie und die Kinder sehr zufrieden sind. Familienaufstellungen verzichten auf Erfolgskontrolle, dennoch ist es immer erfreulich wenn sich soviel Positives zeigt.

Die verdeckte Aufstellungsarbeit ist deshalb so faszinierend, weil sie zeigt, wie wenig wir wissen müssen und wie wenig wir mit unserem bewussten Denken vorwärts kommen. Die verdeckte Arbeit zeigt die Bewegung der Seele, das viel größere Wissen liegt verborgen, fern vom Verstand. Es ist eine große Gnade, ein großes Geschenk der Seele, wenn das Verborgene sichtbar wird.

Ingrid war mit dem Schicksal der Großmutter verstrickt.
Die Dynamik, die den Sohn Dominik leitete, war: Lieber ich als du, Mama.

Kinder sind wie Seismographen. Rosemarie Welter Enderlin sieht in den Kindern einen Wecker. Sie zeigen auf, wenn etwas nicht stimmt.

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